Nicht perfekt, um ehrlich zu sein!

by Sarah

Wie geht’s dir? Ja Dir, der du das hier so eben liest? Merk dir deine Antwort, denn ich komme darauf zurück. Dieser Text handelt davon, wie es ist, nicht perfekt zu sein. Und damit ganz ehrlich zu sein.

Vom Versuch, die Distanz zwischen Realität und vermeintlicher Perfektion ins Bewusstsein zu rufen, habe ich zuletzt geschrieben. Das Gedankenrad dreht sich aber weiter, nicht zuletzt, weil mir gerade wieder eine Veränderung bevorsteht. 

“Andere sind so viel fleißiger im Vergleich zu mir.”

Kennst du sie? Die Person im Umfeld, die neben einer 50-h Woche abends noch auf dem Stepper steht, morgens früher aufsteht um einen Kuchen für einen Geburtstag zu backen und die es nebenbei noch schafft, sowohl die Wohnung sauber als auch mit all ihren Freunden Kontakt zu halten? Den Großteil der Zeit bin ich eher das Gegenteil, davon abgesehen, dass ich zu selten gebacken habe um sagen zu können, jemand würde meinen Kuchen gerne essen. 

Ich bin die, die sich hin und wieder insgeheim freut, wenn ein Date nach der Arbeit spontan ausfällt, weil ich mich dann auf mein Bett und Netflix freue. Schuldig. Ich zelebriere das auch, abgesehen von den kleinen Momenten, in denen ich ganz genau weiß, dass ich Zeit verschwende. Ich deklariere das nicht zu selten als „Me-Time“, am Ende des Tages ist es aber überwiegend verschwendete Zeit. 

Da ist die offene Sprachnachricht, auf die ich seit zwei Wochen eine Antwort schuldig bin. Ein Hoch auf die ständige Erreichbarkeit. Oma, die mir schon dreimal eine Voicemail hinterlassen hat, in der Sorge, ob ich überhaupt noch lebe. Und hey, Sport wäre auch mal wieder nicht schlecht, aber jetzt nochmal raus in die Kälte? 

Auf meinem Nachttisch stapeln sich Bücher. Jedes Mal wenn ich eine Buchhandlung betrete, nehme ich mindestens drei Bücher mit und hab weitere drei schon fürs nächste Mal in Aussicht. Nur im Lesen komme ich langsamer hinterher als mit dem Kaufen. Und wie oft nehme ich mir vor, abends das Handy in den Flugmodus zu schalten und nichts zu tun, außer zu lesen. Und wie oft schlafe ich stattdessen noch zu Netflix ein, Instagram auf dem Smartphone noch offen. Ich bin nicht perfekt, um ehrlich zu sein.

Schuldig. 

Dieses unendliche “Schuldig”-Fühlen

Das vergangene Jahr hat mir wahnsinnig viel mitgegeben an Erfahrung, über mich, über andere und darüber hinaus das, was dazwischen passiert. Und kennt ihr das, wenn ihr euch umseht und denkt: “Wow, alle um mich herum bekommen ihren „shit together“. Währenddessen struggled ihr einfach nur hart mit euch selbst? Und dann, schließlich, kommen Freunde oder Bekannte oder Fremde auf euch zu und sagen euch genau das? „Wie bekommst du das eigentlich alles hin? Bewundernswert!“ Womöglich stellt ihr fest, wie weit Selbst- und Fremdwahrnehmung auseinanderklaffen können.

Bei einigen Menschen durfte ich hinter die Kulissen sehen und das stimmt mich dankbar.  Weil gerade die Momente der Selbstzweifel und des Infrage-Stellens letztlich den gleichen Input geben wie die Momente, in denen man sich um nichts Gedanken machen muss. Stop, eigentlich noch mehr. Mit Zweifeln und Infrage-Stellen meine ich in diesem Falle einzig und allein die Auseinandersetzung mit sich selbst, nicht hervorgerufen durch den Vergleich mit anderen.

Da wir Menschen dazu neigen, uns ausschließlich nach oben zu vergleichen, hat uns das noch nie weitergeholfen. 

Wir wollen häufig alles. Und davon zu viel. Um ehrlich zu sein.

In meinem Umfeld merke ich, dass einige damit hadern, sich darauf festzulegen, was sie wirklich wollen. Was zu Wollen gut ist. Same here. Weil wir oft zu viel wollen. Oder am besten gleich alles.

Schuldig. Auf Perfektion getrimmt. Aber ich bin nicht perfekt, um ehrlich zu sein.

Frustration aufgrund ausbleibender Perfektion. Ich glaube, dass wir häufig zu sehr nach Vollendung streben und aufgrund dessen zu verkennen lernen, wenn wir sie vielleicht bereits erreicht haben. Es geht immer noch besser, noch schöner, noch vollkommener. Definitionssache, aber die vollkommensten Momente habe ich dieses Jahr erlebt, wenn ich nicht danach gestrebt habe. Und skurril, von vielen gibt es keine einzige Aufnahme. Dementsprechend auch kein Foto auf Instagram mit einem Lightroom-Filter drüber um es zur bestmöglichen Zeit mit der Welt zu teilen. Das ist doch so gar nicht perfekt, um ehrlich zu sein. Oder?

Doch. Das waren Momente, in denen ich frei von dem Druck war, „vorwärts zu kommen“, „was Großes zu erreichen“, „Karriere zu machen“, „paar Pfund abzunehmen“, „den perfekten Content zu generieren“. Die Liste könnte ich demgemäß unendlich fortsetzen. Mit anderen Worten: es waren Momente, in denen ich realisiert habe, was ich bisher erreicht habe, für mich ganz persönlich. Und wofür ich, wäre es morgen vorbei, im Grunde genommen dankbar bin. Dies schließlich in Relation gestellt bin ich am Ende des Tages zufrieden.

Keine Smartphone-Momente – eher so KODAK Momente. Perfekt, um ehrlich zu sein.

Balance. In letzter Zeit gefühlt ein Buzzword in meinem Leben. Mit dem Hang zu Extremen ist Balance nicht mein bester Freund, aber einer, von dem ich mir wünsche, dass er’s wird. Vielleicht ja im nächsten Jahr. Prokrastination. Schuldig.

Highlife. Lowlife. Balance.

Die letzten Monate hatte ich überwiegend das, was gern als Highlife betiteln wird. Dass ich aber auch ganz normal nebenbei in Festanstellung gearbeitet habe, vergisst man beim den Aufnahmen der Sonnenseiten des Lebens schnell. Ich auch, um ehrlich zu sein. „Highlife“, was für ein selten dämlicher Begriff. Ohne Hoch keine Tiefs,  und es kotzt mich zunehmend an, dass offensichtlich nach meiner Wahrnehmung Tiefs weitestgehend mit Schwäche assoziiert und daher am liebsten so fett wie möglich kaschiert werden.

Die stärksten und erfolgreichsten (in verschiedenster Hinsicht) Menschen, die ich kenne, sind eben deshalb gerade dort, wo sie im Leben stehen. Aufgrund ihrer Tiefpunkte. Was mich inspiriert, ist keines der Extreme, sondern folglich die Momente, die dazwischen liegen. Wie beispielsweise Freunde, Bekannte & Fremde sich entscheiden, vorwärts zu gehen und vor allem, warum und wofür. Wir hatten nie mehr Möglichkeiten als heute und du kannst alles werden, wenn du nur willst. Was für eine freiheitsgebende und zugleich einschränkende Perspektive

Was ich zu schätzen gelernt habe, ist der ehrliche Austausch. Wenn sich die Frage „Wie gehts dir?“ noch lohnt, weil nicht instinktiv mit „gut“ geantwortet wird. Und wenns jemandem gut geht, ist das großartig – nicht missverstehen. Aber wenn dem nicht so ist, warum lügen? Perfekt. Nicht perfekt. Egal. Hauptsache ehrlich sein.

Julia Engelmann hats meiner Meinung nach so schön in Worte gefasst, um sie zu zitieren: Was bleibt also am Ende?  Nicht die vielen Videos, die ich nachts auf meinem Laptop gesehen habe. Eben nicht „Wow, du arbeitest aber hart. Nicht meine Frisur, nicht der Applaus. Sondern Menschen und Erinnerungen“. 

. Authentizität. Entschleunigung. Bei-sich-selbst-sein. 


Nachtrag

perfekt. nicht perfekt. um ehrlich zu sein.

diesen Text hatte ich eigentlich schon in die Versenkung gejagt, Niederschrift eines Abends, an dem man sich noch das letzte Glas Rotwein vorm zu Bett gehen “gönnt”. Ja, er ist vielleicht zerissen. Aber wer wäre ich, euch einen perfekten Text präsentieren zu wollen ?

“Was, wenn die Dinge, die ich suche, weil ich glaube, sie zu brauchen, gar nicht sind, was ich will?”

3 comments

Tina Dezember 13, 2018 - 12:28 pm

Yes yes yes und nochmal yes!
Toller Text und du hast es einfach so gut auf den Punkt gebracht. Slebst- und Fremdwahrnehmung klaffen wirklich meist weit auseinander, nicht nur Instagram und Real Life sondern schon bei Freunden/ Bekannten/ Familie. Mir fällt es auch immer häufiger auf und umso glücklicher bin ich, wenn man in einem ehrlichen Gespräch sagen kann dass eben doch grade gar nichts sooo toll ist wie es eventuell auf Instagram/ Whatsapp oder sonstwo scheinen mag… .
Und ja, gerade die Tiefs lassen einen erst wieder die Hochs richtig schätzen und was gerade wichtig ist <3

xxx
Tina

https://styleappetite.com

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Frank Dezember 20, 2018 - 6:17 pm

Gut gemacht! Ich merke, dass der Papa und die Mama Dir einiges an guten Gedanken weitergegeben haben. Wenn sich die Frage „Wie gehts dir“ noch lohnt, weil nicht instinktiv mit „gut“ geantwortet wird, dann spreche ich mit deinem Vater oder er mit mir. “Wie is et?” “Mir is scho schlecht” oder “Wie schauts?”… Willse nich Wissen Alter!” Ich weiß was ich an Deinen Eltern habe und toll das Du dabei bist.

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Anne Januar 6, 2021 - 9:44 pm

Tut gut, so einen erfrischend ehrlichen Text zu lesen, der das Leben, wie es ist, auf den Punkt trifft <3

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