01.02.2023

by grossstadtklein

Es ist Halbzeit meiner Reise in Irland, ich sitze in einem Café und versuche, die Eindrücke der letzten Woche in meinen Gedanken zu sortieren. Das Wetter ist mystisch, ein Mix aus Wind, Nebel und Regen, ein guter Anlass, ein paar Stunden zur Ruhe zu kommen.

Es ist meine fünfte Reise auf die grüne Insel, die fünfte innerhalb von nicht einmal 1,5 Jahren. Im vergangenen Jahr habe ich in etwa dieselbe Zeit in Irland wie Zuhause verbracht, der Ausdruck “2nd home” hat seine Berechtigung. Nicht zuletzt hinsichtlich meiner Gefühle. Was ich für Irland empfinde, lässt sich mit einer Fernbeziehung vergleichen. Im Alltag eine leichte Ungeduld, wann ein Wiedersehen einkehrt. Das schmerzliche Vermissen. Die Glücksgefühle, wenn ich hier bin. Die Aufregung, wenn das Flugzeug auf der Insel aufsetzt. Ankommen fühlt sich an wie eine lange, warme Umarmung.

Längst fühle ich mich hier nicht mehr ausschließlich wie eine Touristin, was vor allem damit zusammenhängt, dass ich mittlerweile seit einem Jahr immer wieder in der selben Stadt einkehre, die gleichen Menschen (wieder)treffe, ich kein Navi mehr brauche, weil ich die Straßen kenne. Der Küstenabschnitt im Umkreis von 50km hat mir viele dieser Momente beschert, die ich niemals wieder vergessen werde. 

Mein erstes Festival alleine im Ausland. Der Ort, an dem während meiner Trauerarbeit mein Knoten geplatzt ist. Eine Bank, zu der ich immer fahre, wenn ich hier bin um in Gedanken bei jemandem zu sein, mich mit der Vergangenheit und mir auseinanderzusetzen. Die kleine Holzhütte, in der ich ohne Elektrizität nachts den Ofen angeschürt habe und aus der ich stundenlang die Sterne beobachtet habe, gänzlich ohne Lichtstörung. Ein unglaublicher Sonnenuntergang im November, begleitet von der Akkustikgitarre eines Straßenmusikers an der Promenade. Viele Tagestrips mit Menschen von hier und inspirierenden Gesprächen. So könnte ich noch ewig fortfahren. 

Ich befinde mich am Anfang meiner 30er, früher dachte ich, dann wäre ich „alt“ (no offense!) – heute habe ich das Gefühl, ja, ich bin älter, aber es gibt mir eine innere Ruhe, wie ich sie in den Zwanzigern nie empfunden habe (auch wenn ich es zu dem Zeitpunkt dachte). Für mich persönlich hab’ ich das Gefühl, so nah bei mir zu sein wie bisher nie. Hier sein, in Irland sein, ist zusätzlich meine Kirsche auf der Sahne. Es fühlt sich an, wie die normalste Sache der Welt für mich, und offen gestanden ist das auch beängstigend manchmal. Auf die Frage einer Freundin, wie es mir geht, also wie es mir so wirklich geht, hab ich impulsiv geantwortet, so glücklich zu sein, dass es mir Angst macht. Ich denke, die Angst, etwas zu verlieren geht automatisch mit dem Glück einher und ist nur eine andere Form der unterbewussten Wertschätzung. Nichts desto trotz weiß ich für mich einfach, dass ich auf dieser Reise (metaphorisch gesprochen) noch lang nicht am Ziel bin, es fühlt sich eher an, als wäre ich noch ganz am Anfang. So oder so genieße ich diese Reise und möchte aktuell gar nicht definieren, wie ein Ziel aussehen könnte. Glaubt man jedoch an Zeichen, musste ich in Anbetracht der Tatsache, dass mein Traum ein Häuschen in Irland wäre, lachen, als ich letzte Woche einen Bekannten in Dublin auf ein Bier getroffen habe und er mir erzählte, er wolle den Bungalow seiner Großmutter in meinem Lieblingscounty verkaufen. In unserer Welt, in der wir Stress teilweise (& krankhafterweise) fetischisieren, schnelllebig sind, täglich beängstigende News auf uns einprasseln, morgen das heute kaum noch zählt, in dieser Zeit halte ich persönlich einen Rückzugsort weit weg von Trubel, umgeben von Natur für die absolute Definition von Luxus. 

Was ich hier besonders genieße? Die Offenheit und Herzlichkeit der Menschen. Es ist schlicht unmöglich, an jemandem vorbeizulaufen ohne ein „how are ya?“ – nicht, dass darauf immer eine Antwort erwartet werden würde, aber man nimmt sich wahr. Gestern fragte eine Followerin, wie es denn sein kann, dass ich immer alleine reise, jedoch nie alleine bin. Ich musste lachen, denn sie hat vollkommen recht. Ich sage, das ist Irland. Gänzlich ungezwungen und einfach kommt man hier in Kontakt und mit einem Akzent fällt man natürlich sofort auf, die Leute fragen, woher man kommt, wohin man geht und geben in den meisten Fällen noch wertvolle Tipps mit. Die Menschen, denen ich bisher hier begegnet bin, und es waren viele, sie sind stolz auf ihr Irland. Setzt man sich mit der Geschichte auseinander, kann man diesen Stolz, wie so oft, nachvollziehen. Es vergeht kein Tag, an dem mich die Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit hier nicht verblüfft und mir den Glauben ans Gute schenkt. 

Schaue ich mir meine Aufnahmen der letzten Woche an, sind viele dieser sehr dunkel, das Tageslicht glänzt in grau. Aber es sind ehrliche Aufnahmen, warum sollte ich sie beschönigen. Ich bin nicht hier, um etwas zu zeigen, was nicht die Realität zeigt. Werde ich nach der besten Reisezeit für die Insel gefragt, könnte ich natürlich sagen, versuch dein Glück im Mai oder Juni. Nach vielen Reisen hier her habe ich persönlich jedoch keinerlei Präferenz, ich bin keine Schönwetterurlauberin. Das Wetter macht für mich eine Reise nicht besser oder schlechter, es sind die erlebten Momente, vor allem die in Interaktion mit Land und Leuten. Und fast würde ich meine Hand ins Feuer dafür legen, dass die Sonne täglich mindesteins einmal irgendwo hier rauskommt. 

All diese Menschen, die ich auf meinen Reisen hier kennenlernen durfte, all diese Menschen, mit denen ich auch Zuhause in Hamburg in Kontakt stehe. Die Momente, die ich mit ihnen bisher geteilt habe. Selbst jetzt, in dem Moment, in dem ich in diesem kuscheligen Café sitze und versuche, meine Gedanken in die Tastatur zu hämmern, habe ich das Gefühl, bei weitem keine Worte für meine Dankbarkeit aber auch mein Staunen übers Leben zu finden. Ich kann nur den Kopf schütteln und denke immer wieder „was für ein verrücktes Leben“. 

Albert Einstein sagte, es gäbe zwei Arten das Leben zu betrachten: als gäbe es keine Wunder, oder als sei alles ein Wunder. Ich persönlich habe letztere Betrachtungsweise adaptiert. Viele Erfahrungen in meinem Leben, Tiefschläge, von denen nur nahestehende Menschen wissen, die Mühe und Zeit, die ich in die Aufarbeitung dieser investiert habe, die von uns allen durchlebte Zeit der Pandemie, mein Unfall und die darauffolgende Zeit der Genesung – in Summe trägt es dazu bei, dass ich heute nicht mehr allzu weit in die Zukunft denke, geschweige denn plane. Heute bin ich gesund, heute ist, was zählt. Ich will morgen nicht bereuen, gestern nicht genutzt zu haben. 

Meine Gedanken frei rausgeschrieben, aktuell so wenig kuriert wie mein Lightroom-Katalog. Might delete this later. xx

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